von Frieder Vollprecht

Der Zusatz „am Europaplatz“ ist wichtig. Denn die Geschichte des Hauses der Religionen in Bern hat bereits früher begonnen, spätestens Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrtausends. Verschiedene Ströme sind dabei zusammengeflossen. Es waren zum Teil städteplanerische Ideen, zum Teil interreligiöse Aktivitäten unterschiedlicher Art auf verschiedenen Ebenen, die bereits existierten.

Eine nicht unwesentliche Rolle für die Realisierung hat schließlich gespielt, dass die Herrnhuter Sozietät Bern eine neue Aufgabe gesucht hat, um sich in das kirchliche und gesellschaftliche Leben der Stadt einbringen zu können. Vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte als Gemeinschaft von Geflüchteten, die der Startpunkt für die Gründung des Ortes Herrnhut war, und basierend auf den Gedanken zu einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen, die der letzte Bischof der alten Brüder-Unität, Johann Amos Comenius, mitten im 30jährigen Krieg entwickelt hat, war es naheliegend, etwas für die Integration von Migrantinnen und Migranten in das etablierte Leben der Stadt zu tun. Die Idee einer dementsprechenden „neuen Herrnhuter Arbeit“ in Bern wurde geboren. Mit Geschwister Friederike Kronbach-Haas und Hartmut Haas wurde ein Mitarbeiterehepaar gefunden, das bereit war, sich auf dieses vage Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen, im Jahr 2000 nach Bern zu ziehen und die Idee der Gründung eines Hauses der Religionen in den kommenden Jahren zusammen mit anderen mehr und mehr Gestalt annehmen zu lassen und am Leben zu erhalten. Es folgte eine Phase verschiedener Zwischenschritte. Mehrmals stand das ganze Projekt am Rande des Scheiterns, bis es am 14. Dezember 2014 dann tatsächlich so weit war und das Haus eingeweiht werden konnte als Stätte, die fünf verschiedenen Religionsgemeinschaften einen Ort unter einem Dach bietet zur Praktizierung ihres Glaubens und ihrer Rituale – und zusammen mit drei weiteren Religionsgemeinschaften einen Ort des interreligiösen Dialogs und des interkulturellen Austauschs. Tausende Menschen kamen am Eröffnungstag zum Europaplatz, um sich das Haus anzusehen und es wurde verschiedentlich als „das neue Wunder von Bern“ bezeichnet. Aber, wie in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung zu lesen ist: „Man darf an Wunder glauben, muss sie jedoch gleichzeitig auch organisieren.“ (Albert Rieger, Bewegung von unten, Geschichte und Geschichten des interreligiösen Dialogs in Bern, Seite 81).

Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Das Haus der Religionen hat einen festen Platz im Leben der Stadt eingenommen. Von vielen wird es immer noch bestaunt. Es ist Pate für die Realisierung ähnlicher interreligiöser Friedensprojekte an anderen Orten bis nach Sri Lanka geworden. Vieles wurde ausprobiert, weiterentwickelt, modifiziert, zum Teil auch wieder verworfen und unter veränderten Vorzeichen neu begonnen. Mehrmals stand das Haus der Religionen im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, zum Beispiel beim Besuch des Dalai-Lama im Oktober 2016 oder von Elke Büdenbender, der Ehefrau des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Rahmen des Begleitprogramms während seines Staatbesuchs in der Schweiz im April 2018. Das Vertrauen der Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Religionsgemeinschaften zueinander ist gewachsen, so dass es nach und nach möglich wurde, auch gemeinsame Aktivitäten zu planen und durchzuführen, zum Beispiel unmittelbar nach den Anschlägen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 einen gemeinsamen Anlass der muslimischen Gemeinschaft, der jüdischen Gemeinde und der christlichen Kirchen unter dem Titel „In Trauer vereint“. Einen schweren Einschnitt haben die zwei Jahre der Corona Pandemie bedeutet, da die Arbeit im Haus der Religionen im Wesentlichen auf gegenseitige Begegnung ausgerichtet ist, die in dieser Zeit kaum möglich war. Auch an kritischen Stimmen hat es nicht gefehlt, etwa als vor ca. zwei Jahren bekannt wurde, dass es im Haus womöglich zu Unregelmässigkeiten bei der Reihenfolge von ziviler und religiöser Eheschliessung gekommen sein könnte, die in der Schweiz gesetzlich vorgegeben ist. Bei dem allen spielt das Haus der Religionen eine wichtige Rolle als Modellprojekt, das deutlich macht, wie ein friedliches und tolerantes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit funktionieren kann. Und diese Rolle wird es hoffentlich noch lange weiterspielen.

Frieder Vollprecht ist Pfarrer der Herrnhuter Sozietäten Basel und Bern und Mitarbeiter der Kirche im Haus der Religionen

 

 

Impressionen aus dem Haus der Religionen in Bern


alle Bilder von Hartmut Haas

 

Artikel veröffentlicht am 13. Dezember 2024