Zehn Jahre ist es nun her, dass nach etlichen Widrigkeiten und Hindernissen das Haus der Religionen am Europaplatz in Bern eingeweiht wurde. Vor dem großen Fest standen allerdings nicht nur ein kräftezehrendes Baugeschehen, sondern vor allem ein langer Prozess des gegenseitigen Kennen- und Schätzenlernens von Vertretern verschiedener Religionen in Bern. Bereits im Frühjahr 2002 wurde der Verein „Haus der Religionen – Dialog der Kulturen“ gegründet. Hartmut Haas, Pfarrer der Herrnhuter Brüdergemeine, war bis zu seinem Ruhestand 2014 dessen Projektleiter und Vereinspräsident. Dem Verein voraus gingen wiederum über zehn Jahre gemeinsamer Gespräche und Gebete von Gläubigen, die Anfang der 1990er Jahre einen „Runden Tisch der Religionen“ gebildet haben.

 

Und nun ist es soweit: Zu einem großen Tag der offenen Türen werden am 14. Dezember interessierte Nachbarn genauso wie weitergereiste Neugierige zu Einblicken in Tempel, Dergâh oder Moschee eingeladen und selbstverständlich auch in den weltweit einmaligen Kirchenraum, in dem sich Herrnhuter Schlichtheit und äthiopisch-orthodoxe Farbenfreude vereinen.

Daneben wirft auch eine lesenswerte Buchveröffentlichung Blicke zurück und voraus:

 

 



Buchrezension von Hartmut Haas

Angesichts der Analyse über den Zustand unserer Welt ist es erlaubt, sich zwischendurch eine rosarote Brille aufzusetzen. Wer sich dabei nicht ganz aus dem hier und jetzt verabschieden will, nehme noch zwei Buchdeckel hinzu und bestaune „Die Welt am Europaplatz“, wie sie sich mit „Geschichten aus dem Haus der Religionen“ und mit dem „Dialog der Kulturen“ in der Stadt Bern über zwei Jahrzehnte hinweg entwickelt hat und selbst dann einen Hoffnungsschimmer in unsere konfliktreiche Zeit zaubert, wenn einem die Brille verrutschen sollte*.

Das zweite Buch über das ungewöhnliche Projekt, an dem sich seit dem Jahr 2000 Menschen aus acht Weltreligionen und viele gesellschaftlich wie kulturell engagierte Personen und Gruppen beteiligen, lokalisiert seine Geschichten an den Berner Europaplatz, an dem sich seit dem Jahr 2014 eine Moschee, ein Hindutempel, eine Kirche, ein alevitisches und buddhistisches Zentrum befindet und weitere Fenster den Blick in das Judentum, zur Sikh- und in die Baha’i-Religion ermöglichen. Reich illustriert, erzählt das Buch in elf Kapiteln die ungewöhnliche Geschichte des „Hauses der Religionen“, mit allem, was inzwischen darin bei Fest und Feier, Gottesdiensten, Gebeten und Meditationen, in Bildungs- und Theateranlässen, in der kleinen Begegnung und an Großveranstaltungen geschehen ist. Die einzelnen Kapitel sind dabei dreifach gegliedert, enthalten eine ausführlichere Beschreibung, dann einen reflektierenden Kommentar und schließlich ein „Apropos“, welches ein besonderes Ereignis oder Thema unterstreicht.

Einen besonders lesenswerten „Crash-Kurs“, nicht nur zu Grundkenntnissen über Religionen, sondern sogar, man staune, zu Konfliktlösungen in Haus- und Bauordnungen, liefert das Kapitel über die vier Elemente. Spannend, wie Feuer, Erde, Luft und Wasser immer überraschend andere Bedeutung haben können und bei allen Unterschieden die Religionen elementar miteinander verbinden. Auch die Rundreise durch die Menschenbilder in den Religionen liest sich erhellend, lässt staunen, welche vielfältigen Möglichkeiten sich offenbaren, sich im Gefüge kosmischen Geschehens und im banalen Alltag zu verstehen.

Ebenso wird die Begegnungs- und Vermittlungsarbeit im gemeinsamen Bereich „Dialog der Kulturen“ thematisiert. In der gemeinsamen, von vielen Kulturen bereicherten Küche geht es sehr interessant um den Spagat, zwischen allen möglichen Speiseregeln und Geschmacksrichtungen zurecht zu kommen. Wie das gelingt, ayurvedisch, halal, koscher, mit und ohne Alkohol oder Fleisch, man kann es unterhaltsam nachlesen. Weiter fasziniert die Darstellung des Kulturprogramms, welches über die Jahre hinweg den Roten Faden für das Haus lieferte, Schriftstellerinnen, Filmschaffende, Theologen und Philosophinnen, Musiker und andere Künstlerinnen an den Europaplatz führte.

Die spannenden Kapitel werden ergänzt durch einen vielsprachigen Chor, der mit kleinen Momentaufnahmen persönliche Geschichten um das Haus der Religionen erzählt. Auch der lange Weg von den ersten Ideen über die Zusammenarbeit mit Architekten und Bauleuten, sowie die wundersame Geschichte der Finanzierung findet ihren Platz, zusammen mit einer Chronik, die das Werk komplettiert.

Also alles in allem eine sehr ansehnliche und lesenswerte Lektüre für alle, denen die Entwicklung unserer Gemeinschaften, der Städte, Dörfer und Kirchen nicht egal ist.

 

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* „Brille verrutscht“:
Anspielung auf Johann Amos Comenius (1592-1670): Labyrinth der Welt, Paradies des Herzens, Kapitel 4 „wie sie mir Zügel und Brille verpassten“.

 

Literatur aus dem Haus der Religionen


Die Welt am Europaplatz
Geschichten aus dem Haus der Religionen - Dialog der Kulturen

Herausgegeben: Verein Haus der Religionen – Dialog der Kulturen
ISBN: 978-3-7272-6180-0
Stämpfli Verlag AG 2024 | 144 Seiten
34 Euro im Buchhandel

weitere Informationen zum Buch und Leseprobe

„gegenwärtig, noch nicht fertig Haus der Religionen – Dialog der Kulturen

Edition Haus der Religionen, Bern 2012, ISBN 978-3-033-03693-2

Buch des Monats April 2013 Katholisches Bibelwerk

 

Artikel veröffentlicht am 6. Dezember 2024