Migrantenkirche und Ursprung der Losungen – großes Kirchentreffen in Sibiu
im Gespräch mit Johannes Welschen
Vom 27. August bis 2. September trafen sich Delegierte aus 96 beteiligten protestantischen Kirchen in Sibiu (Rumänien). Die Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen (GEKE) stand unter dem Eindruck zunehmender gesellschaftlicher Verwerfungen in Europa. Auch auf der Vollversammlung wurden herausfordernde Themen angesprochen, etwa zu Gender- und Familienfragen. Die Gespräche während des Kirchentreffens waren dabei von gegenseitiger Achtung geprägt. Die Vollversammlung stand unter dem Leitwort „Im Licht Christi – zur Hoffnung berufen“.
Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche in der Schweiz, wurde zur neuen geschäftsführenden Präsidentin der GEKE gewählt.
Die Kirchengemeinschaft entstand aus den Mitgliedskirchen der Leuenberger Konkordie: Im Jahr 1973 hatten sich lutherische, reformierte und unierte Theologen in dem schweizer Ort Leuenberg getroffen um über die unterschiedlichen Abendmahlslehren ihrer Kirchen zu sprechen und zu einer gemeinsamen Lösung zu finden. Mit der Leuenberger Konkordie, die im Oktober 1974, also vor nun 50 Jahren, in Kraft trat, sprechen sich die unterzeichnenden Kirchen ihre gegenseitige Anerkennung zu. Auch die Evangelische Brüder-Unität gehört der GEKE als Mitglied an. Bei der Vollversammlung wurde sie durch Br. Johannes Welschen, Mitglied der Direktion (Kirchenleitung), vertreten.
Wie bringt man sich als Mitglied der europäischen Brüdergemeine in die GEKE ein?
Bisher sehr wenig. Bei der Vollversammlung in Sibiu bin ich gebeten worden, in einer der Arbeitsgruppen zu den vergangenen Studienprozessen, und zwar zu Demokratie als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft, als Berichterstatter zu arbeiten und in dem Ausschuss mitzuwirken, der eine Stellungnahme zur Existenz evangelischer Kirchen als Minderheiten erarbeitet. Ansonsten habe ich in der Fokusgruppe zu Migration und Kirchengemeinschaft und der Zukunftswerkstatt zu Theologischen Fragen als Mitglied mitgewirkt. Wir haben inzwischen in der Direktion beschlossen, im Falle einer Neuauflage des Programmes „Young Theologians in Communion“ eine/n unserer Student/innen zu entsenden und eventuell an einem Studienprozess in der Periode bis 2030 mitzuarbeiten. Das hängt allerdings davon ab, ob es unter den Studienprozessen einen gibt, in dem wir als Brüdergemeine etwas einzubringen haben. Zu denken wäre an Themen wie: Migrantenkirchen in der GEKE, Theologie der Veränderung. Bei den Gedanken zu einem Studienprozess über die Bedeutung der Bekenntnisschriften habe ich ausdrücklich auf unsere Rolle als nicht bekenntnisgebundene Kirche (gemeinsam mit den Methodisten) hingewiesen. Dies wurde in der Gruppe interessiert aufgenommen, kam aber nicht in den Abschlussbericht.
Auch will ich untersuchen, ob eine Mitarbeit in der Regionalgruppe Nord-West für uns sinnvoll ist. Zur Regionalgruppe gehören die deutschen Landeskirchen im Nordwesten Deutschlands, Kirchen in den Niederlanden und Belgien sowie Kirchen in Großbritannien.
Die Frage ist ja nicht nur, was eine Mitarbeit in der GEKE für uns bringt, sondern auch was wir einzubringen haben. Und da könnte m. E. unsere Struktur als internationale Kirche eine Rolle spielen, das Thema Migration und Kulturoffenheit und unser Charakter als Kirche ohne verbindliches Bekenntnis.
Was gab es auf der Konferenz von Sibiu für Beschlüsse, die von Bedeutung für die Brüdergemeine sein können?
Das ist nicht leicht zu sagen. Es wurden vor allem die Ergebnisse der Studienprozesse entgegengenommen. Da wird sicher die Frage zu stellen sein, ob wir mit dem Studiendokument zu „Sexuality, Gender, Marriage and Family“ etwas anfangen können. Dass es 400 Seiten hat, macht es für Gemeinden nicht leicht verdaulich. Wir müssen aber noch warten, bis der offizielle Text veröffentlicht wird. Auch das Thema „Christliches Reden von Gott“ wäre sicher sinnvoll in der Theologischen Kommission und/oder dem Kreis der Gemeindiener/innen zu besprechen. Gerne würde ich auch die vier Stellungnahmen in der Brüdergemeine zur Kenntnis geben, weiß aber noch nicht, wo und wie das am sinnvollsten ist. Wir bekommen ja so viele Texte und Impulse von verschiedenen Seiten, dass wir sie oft nicht wirklich wahrnehmen können.
Wie bereits gesagt, wird es sehr darauf ankommen, welche Studienprozesse die GEKE sich in der kommenden Periode vornimmt. Das entscheidet am Ende der Rat der GEKE, der auf dieser Vollversammlung neu gewählt worden ist, aufgrund der Ideen und Vorschläge, die die Vollversammlung gemacht hat. Erst wenn wir das wissen, können wir genauer sagen, was diese Prozesse für die Brüdergemeine bedeuten werden.
Welche persönlichen Begegnungen, vielleicht auch mit Vertretern anderer Kirchen, waren für dich bemerkenswert?
Zunächst einmal war es sehr schön zu merken, wie vertrauensvoll die Beziehung zu den methodistischen Kirchen geworden ist. Eine der ersten Personen, der ich in Sibiu begegnete, war Bischof Harald Rückert von der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland und er brachte mich in Kontakt mit den Bischöfen der Zentralkonferenz für Nordeuropa und für Südosteuropa. Auch in den Arbeitsgruppen habe ich mich hier und da mit den methodistischen Geschwistern ausgetauscht. Sehr positiv waren auch die Begegnungen mit den jungen Theologen. Da war einmal der Vertreter der Protestantse Kerk in Nederland – ein junger Pfarrer, der an dem Begegnungsprogramm der GEKE teilgenommen hatte. Und auch andere Kirchen hatten zum Teil junge Menschen abgeordnet. Für Kirchen wie der Brüder-Unität, die nur eine/n Delegierte/n haben, ist es natürlich immer schwierig, Männer und Frauen, jung und alt zu entsenden. Da muss man sich entscheiden, ob man einen alten Mann aus der Kirchenleitung oder eine junge Frau aus einer der Gemeinden entsenden will. Wichtig ist, dass die Erfahrungen anschließend geteilt werden. Aber es war schon ermutigend, die jungen Theolog/innen zu erleben, die sich mit der Vielfalt der kirchlichen Landschaft sehr bewusst beschäftigen. Interessant war, sowohl im offiziellen Programm als auch in der persönlichen Begegnung, die Tatsache, dass neben den großen (und immer noch wohlhabenden) evangelischen Kirchen aus Deutschland und Skandinavien, die meisten evangelischen Kirchen Minderheitskirchen mit sehr eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten sind. Dass verbindet uns mit ihnen. Übrigens fiel mir auf, an wie vielen Stellen deutsche Theolog/innen in diesen Kirchen leitende Stellungen innehaben, z. B. ist der Bischof der neu aufgenommenen georgischen Kirche ein ehemaliger württembergischer Pfarrer.
Wie wird das Wirken der Brüdergemeine allgemein in der GEKE aufgenommen?
Wir sind für viele evangelische Christen in Europa die Kirche der Losungen. Als die Aufnahme der Evangelisch-lutherischen Kirche in Georgien und dem südlichen Kaukasus als neue Mitgliedskirche begrüßt wurde und etwas Typisches aus ihrer Kirche zeigen sollte, brachten sie die georgische Losung mit, auf der deutlich sichtbar das Lamm mit der Siegesfahne abgebildet ist, und als ich am Sonntag den Gottesdienst der Evangelischen Kirche A.B. in Mediaş besuchte, lag dort die Losung in Rumänisch aus und der Pfarrer berichtete, dass ihr Vikar der Bearbeiter der Losungen sei. Es dauerte allerdings ein paar Tage, bis die Teilnehmer begriffen, dass die „Moravian Church“, die auf meinem Namensschild vermeldet war, nicht eine Kirche aus Mähren ist, sondern die Herrnhuter Brüdergemeine. Über die Arbeit der Brüdergemeine ist wenig bis nichts bekannt. So war man in der Arbeitsgruppe zu Migrationsfragen sehr erstaunt, dass die meisten unserer Mitglieder (Nachfahren von) Migranten aus Suriname sind und also einen Migrationshintergrund haben. Übrigens war einer meiner Eindrücke, dass People of Color in der GEKE faktisch nicht vorkommen. Nur eine Vertreterin der United Reformed Church hatte sichtbar einen Migrationshintergrund. Aber auch wir waren durch einen alten, weißen Mann vertreten. Das wird vielleicht bei der nächsten Vollversammlung in sechs Jahren anders sein.
Wie waren deine Eindrücke in Sibiu, wie gestaltet sich das kirchliche Leben dort?
Ich war noch nie in Sibiu, in Siebenbürgen oder Rumänien. Sibiu ist (zumindest das historische Zentrum) eine wunderschöne Stadt, übrigens Weltkulturerbe wie auch die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine. Es ist auch eine multikulturelle und multikonfessionelle Stadt. Bei der Exkursion am Tag nach der Vollversammlung haben wir viel davon erfahren und auch einige der eindrücklichen Kirchenburgen gesehen. So gibt es in Sibiu / Hermannstadt lutherische, reformierte, katholische, orthodoxe und neuerdings auch methodistische Kirchen und Bevölkerungsgruppen mit deutschem, ungarischem, rumänischem und Roma-Erbe. Was die deutschsprachige evangelische Kirche A.B. betrifft, erfuhren wir, dass nach der Wende, die man dort konsequent Revolution nennt, 90% der Gemeindeglieder nach Deutschland ausgewandert sind. So wurde aus einer Kirche, die zu kommunistischen Zeiten 100.000 Mitglieder hatte, eine kleine Kirche mit nur noch ca. 10.000 Mitgliedern. Aber sie ist nicht verzweifelt, sondern versucht ihren Auftrag in der Gesellschaft wahrzunehmen, indem sie die Kirchenburgen soweit möglich unterhält, diakonisch tätig ist für Menschen aller Bevölkerungsgruppen und auch Menschen mit rumänischer Muttersprache anspricht – z. B. durch die obengenannte Übersetzung der Losungen, aber auch durch Gottesdienste in Rumänisch. Mich hat die positive Sicht der Geschwister dort beeindruckt. Besonders, wenn ich an manches Klagen in unserer Kirche über kleiner werdende Gemeinden denke.
Die Fragen stellte Andreas Herrmann, Herrnhut
Alle Fotos: © GEKE
Artikel veröffentlicht am 18. Oktober 2024