von Andreas Herrmann

Gemeinschaft muss offen sein für Empathie und Erfahrungen anderer. Wenn wir wissen, dass wir zu Gott gehören, finden wir Mut zu Veränderung. Das und noch andere Leitideen haben die Teilnehmer der internationalen Versöhnungskonferenz im November im Herrnhuter Gästehaus KOMENSKÝ bekommen. Rund 30 Geschwister aus Albanien, England, Finnland, den Niederlanden, Lettland, Deutschland, Tschechien waren dabei.

Dabei ist Versöhnung ein Prozess. Wenn nach einem Konflikt wieder die Bereitschaft da ist, die Dinge zu klären, dann kann aufgearbeitet werden. Damit das nachhaltig ist, bedarf es einer Systematik. Diese stellte Dr. Alex Wimberly vor, der Leiter der Corrymeela-Gemeinschaft in Nordirland. „Corrymeela beginnt, wenn Du es verlässt“, sagt er und bringt damit zum Ausdruck, dass echte Begegnung und Veränderung nicht nur an einem bestimmten Ort oder in einer bestimmten Zeit stattfinden, sondern vor allem dann lebendig werden, wenn wir zurück in unseren Alltag kehren. Versöhnung entfaltet sich dort, wo wir Beziehungen leben, Konflikte aushalten und aktiv an Frieden und Gerechtigkeit arbeiten.

Corrymeela befindet sich in Ballycastle, einem Ort an der Nordküste Nordirlands. Es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die zusammengefunden hatten, um sich gemeinsam für die Heilung der sozialen, religiösen und politischen Spaltungen in Nordirland und weltweit zu engagieren. Der Name stammt aus dem Irischen und bedeutet in Anlehnung an die Landschaft „die kahle Ecke“ oder „kahler Ort am Hang“. Corrymeela wurde 1965 von Ray David zusammen mit John Morrow und Alex Watson gegründet. Bei Ray David war die Zerstörung von Dresden Auslöser für sein Engagement. Im Jahr 2022 hatte die Corrymeela Community etwa 150 Mitglieder in aller Welt. Sie unterhält eine Geschäftsstelle in Belfast, das Corrymeela Centre (Tagungshaus) in Ballycastle und ein Sozialzentrum in Knocklayd. Ähnliche bekannte Kommunitäten sind die Communauté de Grandchamp (Schweiz), Iona Community (Schottland) und Communauté de Taizé (Frankreich).

Fotos von www.corrymeela.org/about/

Corrymeela ist also die älteste Friedens- und Versöhnungsorganisation in Nordirland. Ihre Arbeit basiert auf dem Wunsch, Konflikte zu überwinden, Vertrauen aufzubauen und Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher Hintergründe zu schaffen. Davon haben sich die Teilnehmer der Versöhnungskonferenz inspirieren lassen. Claudia Mai vom Unitätsarchiv der Evangelischen Brüder-Unität hielt vor ihnen einen beachtenswerten Vortrag, der friedensbezogene Aspekte der Ereignisse  rund um den 13. August 1727 aufzeigte. Die Abendmahlsfeier an jenem Tag war die geistliche Bekräftigung einer philadelphischen Gemeinschaft und hatte ihre Quellen auch aus den Lehren von Comenius gezogen.

Die Herrnhuter Brüdergemeine und das Versöhnungsprojekt Corrymeela haben mehrere Gemeinsamkeiten und spirituelle Ansätze, die in ihrer Geschichte, ihren Werten und ihren Zielen verwurzelt sind. Beide stehen für Frieden, Versöhnung und Gemeinschaftsbildung, praktisches Handeln für Gerechtigkeit und Spiritualität. Gute Voraussetzungen also für den Weg zur Feier des 300-jährigen Bestehens unserer Kirche im Jahr 2027. Die Teilnehmer bekräftigten diesen Geist auch durch gemeinsame Bibelarbeit im KOMENSKÝ und das Teilen des Bundeskelches.

 

 

Wurzeln der Versöhnung in der Brüdergemeine

Welche Spuren des Friedensdenkens in anderen reformatorischen Bewegungen haben in Europa Menschen wie Johann Amos Comenius hinterlassen? Welche Friedensbemühungen zum Beispiel der neueren Brüdergeschichte gibt es bei unserer Suche nach der Darstellung von Versöhnung in der Brüder-Unität? Wie gestalten sich Frieden und Versöhnung in der weltweiten Unität, zum Beispiel aktuell in Nicaragua?

Blicken wir dabei noch einmal auf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Er förderte einen Geist der Versöhnung und Offenheit, knüpfte Kontakte mit dem französischen Kardinal Louis-Antoine de Noailles, Kardinal und Erzbischof der mächtigen katholischen Prälatenkirche in Frankreich: „Von der Zeit an bemühte ich mich, das Beste in allen Konfessionen zu entdecken“, sagt Zinzendorf. Er diskutierte auch mit sogenannten Sektierern und Separatisten, die aus allen Teilen Deutschlands nach Herrnhut gekommen waren, das 1727 bereits 300 Einwohner zählte; davon 150 Mähren. Entwickelt wurden von ihm Leitlinien für ein bruderschaftliches Miteinander. Auf dieser Grundlage gelang es, die Bekenntnisunterschiede und konfessionellen Streitigkeiten zu überwinden. Seine ökumenische Haltung beeinflusste die weltweite Mission der Herrnhuter Brüdergemeine.

Eine für Versöhnung tätige Persönlichkeit in der Generation nach dem 2. Weltkrieg war auch Bruder Heinz Schmidt. Er setzte sich für Schuldbekenntnis und Versöhnung mit Juden ein, hatte persönliche Kontakte zu einem israelischen Professor in Jerusalem, aber auch zum Sternberg. Er war einer der ersten, die in den 50er Jahren in die Tschechoslowakei reisten, schreibt Bischof Friedrich Waas. Heute gilt auch die Verbindung zwischen Nelson Mandela und Genadendal als Inspiration für Versöhnung, weil sie symbolisch für Mandelas Bemühungen steht, die tiefen Wunden der Apartheid zu heilen und die kulturelle sowie religiöse Vielfalt des Landes zu würdigen.

Dank für die Konferenz

Tschechische Teilnehmende drücken ihr Feedback zur Versöhnungskonferenz mit folgenden Worten aus: „Nochmals vielen Dank, dass ihr dem Ruf Gottes gefolgt seid und diese Konferenz vorbereitet und die Türen geöffnet habt. Danke für die Gelegenheit, neue Freundschaften zu schließen und alte zu vertiefen. Danke auch für das wunderbare Programm, Unterkunft, Essen und Getränke. Es steckt viel Arbeit hinter dieser Veranstaltung, und sie wurde sehr gut gemacht. Vielen Dank auch an alle, die an dem Treffen teilgenommen haben. Es war wunderbar, Schwestern und Brüder aus verschiedenen Teilen Europas, aus demselben Leib der Brüder-Unität und Corrymeela kennenzulernen. Wenn wir auf die Tage in Herrnhut zurückblicken, dann sehen wir offene Herzen und hörende Ohren. Wir sehen diejenigen, die es gewagt haben, den Weg zu gehen, der manchmal unbequem und eng sein kann, und doch sind sie bereit ihn zu nehmen, weil sie wissen, dass dies Gottes Weg ist. Unser Lamm hat gesiegt, lasst uns ihm folgen“.

 

 

Artikel veröffentlicht am 27. Dezember 2024