Würdig ist anders
Am Tisch mit Jesus
Eine Passionsbetrachtung von Volker Mihan

„Abendmahl“ / Bild: Helene Matthia
Manchmal ist es ein schwieriges Vorhaben, Menschen an einen Tisch zu kriegen. Vor allem, wenn sie aus den verschiedensten Richtungen kommen. Himmelsrichtungen, Denkrichtungen, Glaubensrichtungen – was auch immer für Richtungen uns da einfallen. Reiche und Arme, Gebildete und Analphabeten, Schwarze und Weiße. Die Amerikaner haben da etwas an der Backe, wenn sie den verstrittenen Haufen aus Republikanern und Demokraten von der Straße an einen Tisch bekommen wollen. Bei uns sieht es auch nicht gerade einfacher aus, oder?
Menschen an einen Tisch zu kriegen: Eine höllisch schwere Aufgabe. Aber eine geradezu heilige. Denn sonst sitzen wir alle irgendwann zwischen lauter zerrissenen Tischdecken. Und Scherben. Im Dreck. Das Problem, das wir mit unseren Tischen haben: Wir wollen am liebsten, dass da nur unsere Leute dransitzen. Glaubensgenossen. Auserwählte. Denkschwestern und -brüder. Kulturverwandte. Gleichgesinnte. Würdige eben – so wie wir …
Jesus hat in seinem Leben immer wieder versucht, die verschiedensten Menschen an einen Tisch zu bekommen. Besonders das Abendmahl fällt mir dabei ein – das Sinnbild für den Tisch im Reich Gottes. Vorgeschmack auf Gottes Gastfreundschaft überhaupt. Herrlich, wenn man sich alte Abendmahlsbilder ansieht, da Vinci vielleicht oder Ikonendarstellungen: Wie die Jünger da so sitzen, ganz ordentlich, oft mit Heiligenschein. Das letzte Mahl Jesu mit den Jüngern, den würdigen Auserwählten. Und deswegen dürften beim Abendmahl nur wirklich würdige Menschen teilnehmen, sagen wir manchmal. Taufe, Konfirmation und Mitgliedschaft, solche, die „es ernst meinen“ mit dem Glauben – und zwar nur genau so, wie wir Glauben verstehen! – solche, die keine Zweifel an „der Lehre“ und keine großen Sünden begangen hätten.
Wenn man sich dann allerdings klarmacht, wen Jesus so alles an seinem Tisch versammelt hat:
Angsthasen und Panikmacher allesamt im Sturm auf dem See Genezareth. Selbst der Vorzeigeapostel Petrus hatte die Hose voll.
Ungeduldige Nörgler und Jammerer: „Wann kommt denn endlich das Reich Gottes, Jesus?“
Chauvinisten, die Frauen und Kinder von Jesus fernhalten wollten: „Gib dich doch nicht mit solchen ab …“
Begriffsstutzige Hinterwäldler, die Jesus einfach nicht verstanden.
Verräter wie Judas.
Betrüger und Opportunisten wie Matthäus, der Zöllner.
Schleimer wie Jakobus und Johannes: „Jesus – du hast uns doch so lieb: Werden wir im Himmel neben dir sitzen können?“
Und Eifersüchtige: „Wie könnt ihr nur glauben, dass Jesus euch lieber hätte als uns?“
Ehemalige Terroristen und Untergrundkämpfer wie Simon, der Zelot mit der Waffe in der Hand.
Großmäuler: „Niemals verleugne ich dich! Ich stehe immer zu dir, was auch kommt!“ Ja, ja …
Trantüten, die in Gethsemane einschliefen, als es drauf ankam und Jesus sie besonders nötig brauchte.
Schisser, die davonliefen, als es am Kreuz ernst wurde. Bis auf die Frauen übrigens ...
Würdig ist anders. Würdig sind sie alle nicht gewesen. Und dennoch – ich glaube, gerade deshalb – sitzt Jesus mit ihnen an einem Tisch und feiert mit ihnen. Nicht Würdigkeit, sondern Bedürftigkeit spielt bei Jesus am Tisch die Hauptrolle. Wer braucht mich am meisten? Das war seine Frage.
An meinem Tisch bekommen Hungrige was zwischen die Zähne, Gedemütigte Selbstachtung, Heimatlose Zuflucht und Fliehende Asyl. Legt keinen Wert auf würdig oder unwürdig! Ihr seid selber von Gott eingeladen zu einem Fest des Lebens und des Vertrauens in seine Güte. Deswegen sitze ich, Jesus, mit euch zusammen – mit dem, was ihr seid und könnt, mit euren Fehltritten, Ängsten und Nöten. Ich will euch stärken, denn ich brauche euch. Weil ihr meine Hände und Füße, weil ihr mein Mund seid, wenn ich nicht mehr da bin. Mit euch geht meine Sache weiter, in eurem Glauben und Leben lebe ich. Verinnerlicht das, was ich wollte und das, was ich bin! Nehmt mich auf in euch – in der Gemeinschaft, die ihr untereinander erlebt. Nehmt mich auf in Brot und Wein. Als Wegzehrung.
Als Unvollkommene sitzen wir in unserem Leben an einem Tisch. Als Sichere und als Verunsicherte, als Menschen, bei denen beileibe nicht alles würdig ist. Um Kraft zu schöpfen, uns als Geschwister sehen zu lernen, in die Welt zu gehen und das zu leben, wozu uns Jesus ermutigt hat.
Volker Mihan ist Gemeinhelfer (Pfarrer) in der Brüdergemeine Berlin
Dieser Text ist Teil der aktuellen Ausgabe des Herrnhuter Boten. Die Zeitschrift führt anhand einiger Betrachtungen durch die Passionszeit.
Artikel veröffentlicht am 21. März 2025