Ein vorsichtiger Versuch, die Demokratie in Südafrika zu verstehen.

 

Bericht von Runa Przyluski

 

Zwei Wochen Südafrika. Das hieß zwei Wochen voller Eindrücke, spannender Erlebnisse, inspirierender Geschichten, Schuldgefühlen und einer atemberaubenden Naturkulisse.
Dank eines Austauschprojekts fand im September 2024 eine Begegnungsreise der Brüdergemeine zwischen vier Jugendlichen aus Südafrika und vier Jugendlichen aus Deutschland statt. Organisiert und begleitet wurde die Reise von den Jugendbeauftragten Damaris Enkelmann und David Daniels, dem Jugendmitarbeiter aus Südafrika.

 

 

 

In Südafrika haben wir fantastische Landschaften gesehen, waren am Kap der Guten Hoffnung, haben Wale und Affen aus nächster Nähe gesehen, waren im Atlantischen und im Indischen Ozean baden und haben vom Tafelberg aus Kapstadt bewundert. Ein besonderes Highlight für unsere Gruppe war der Ausflug mit zwei Übernachtungen nach Volmoed. Dort hatten wir die Möglichkeit auch abends zusammenzusitzen, Spiele zu spielen und zu reden. In dem Hotel in Kapstadt, wo wir die restliche Zeit untergebracht waren, gab es leider keinen gemeinsamen Aufenthaltsraum. Das zweite Highlight war die Whale Watching Tour. Die größten Säugetiere so nah zu sehen war echt atemberaubend. Diese Eindrücke von Natur und Land waren atemberaubend und prägten unsere Reise sehr.

 

Doch in diesem Beitrag will ich gerne einen Blick auf die Demokratie in Südafrika werfen und ihr Verhältnis zu kulturellen und religiösen Einflüssen.

Der Leitfaden unserer gemeinsamen Reise war das 30-jährige Demokratie-Jubiläum in Südafrika. In der ersten Woche erlebten wir die Geschichte Südafrikas im Schnelldurchlauf. Dazu besuchten wir verschiedene Museen, das „Castle of Good Hope“, Robben Island und District 6. Bereichert wurden diese Besuche durch persönliche Geschichten und Biographien beeindruckender Menschen.

Begleitet wurden wir dabei von Seth Naicker, der uns immer wieder ermutigte, miteinander ins Gespräch zu kommen und uns auszutauschen. Auch eine tägliche abendliche Reflexion war ein wichtiger Bestandteil unserer Reise, um das Erlebte zu verarbeiten.

In der Sklavenzeit und in der Apartheid war das Leben der Südafrikaner:innen von Unterdrückung geprägt, primär durch Menschen aus Europa. Wir hörten viele Geschichten und sahen die Folgen aus diesen Zeiten. Sich dieser eigenen historischen Schuld bewusst zu werden, weiterzudenken und den Gedanken der Schuld umzuwandeln, war ein großer Part für mich auf unserer Reise. Nur so kann aktiv zur Aufarbeitung und Versöhnung der Vergangenheit beigetragen werden. Uns wurde von den Jugendlichen aus Südafrika immer wieder gesagt, dass wir keine Schuldgefühle haben müssten. Jedoch leite ich daraus eine Verantwortung ab, damit etwas verändert werden kann.

Wir hatten die Möglichkeit, neben der Entwicklung des Landes viele Facetten der Kulturen kennenzulernen, die scheinbar in der Geschichte Südafrikas oft eine wichtige Orientierung geboten haben. Es wurde deutlich, dass traditionelle Strukturen, Rituale und Gemeinschaftspraktiken einen hohen Stellenwert besitzen. Zu Beginn schien mir vieles davon ungewohnt und schwer greifbar. Einige Jugendliche erzählten uns zum Beispiel von disziplinarischen Praktiken, die in ihren Regionen angewendet werden. Als wir das Township „Langa“ besuchten, erfuhren wir von Übergangsriten, bei denen junge Männer Zeit in der Wildnis verbringen, um eine symbolische Reife zu erlangen. Es wurde deutlich, dass Kultur nicht nur eine Sammlung von Traditionen ist, sondern oft auch das soziale und moralische Miteinander prägt. Je nach Region und Gemeinschaft kann dies unterschiedliche Formen annehmen und eine besondere Bedeutung für die gesellschaftliche Struktur haben.

Wir hatten das große Glück, auch mehrere brüderische Orte besuchen zu können. Die weißen Säle gaben mir ein sehr vertrautes Gefühl. Unseren ersten Gottesdienst erlebten wir in Pella- Katzenberg, den zweiten in Elim und zwischendurch waren wir noch in Genadendal und im Saal in Kapstadt-Langa.


„Im Gottesdienst kamen uns auch einige Lieder und Melodien sehr bekannt vor,
ganz abgesehen von dem großen Bläserchor, den es im Gottesdienst in Elim gab.
Auch die Gastfreundschaft von den Gemeinden vor Ort war mir sehr vertraut.“
(Antonia Reche)

 

Wir hatten das große Glück, dass in beiden Gottesdiensten Presbyter eingesegnet wurden. Es wurde viel gesungen, getanzt und gelacht. Zusammengefasst: Es war laut, lang und fröhlich. Überall wurden wir sehr herzlich aufgenommen und direkt zum Mittagessen eingeladen. In Elim machten wir noch eine kleine Tour durch die Stadt und sahen neben dem Gottesacker auch die Schulgebäude und das Wohnheim für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. Auch in Genadendal schauten wir uns den Gottesacker an, beobachteten die Kühe vor dem Kirchensaal und ernteten im Garten nebenan frische Zitronen vom Baum. Es war eine schöne Erfahrung, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Brüdergemeine in Südafrika und in Deutschland zu sehen.

 

Der Blick auf das Aktuelle führte uns nicht nur in Orte der Brüdergemeine. Wie bereits erwähnt besuchten wir auch das Township „Langa“. Für viele von uns war es sicherlich der emotionalste Teil der Reise. Schon bis zu diesem Zeitpunkt reflektierten wir immer wieder unsere Privilegien und waren uns dieser sehr wohl bewusst. Doch Langa katapultierte uns noch einmal in eine andere Skala von Privilegien. Hier besuchten wir auch noch einen Trommelworkshop, um entstandenen Gefühlen einen Raum geben zu können. Langa löste in mir Gefühle aus, die mich verwirrten und die mich auch noch nachhaltig beschäftigen.


„Wir waren alle bedrückt von den Geschichten und dem Leben der Menschen dort.
Diese Armut hat mir meine Privilegien nochmal sehr deutlich gemacht
und es war für mich auch sehr erschreckend zu sehen,
wie wenig ich diese Armut aushalten konnte.
Dass wir uns darüber ausgetauscht haben und jeder seine Sicht schildern konnte,
hat mir geholfen, das zu verarbeiten.“
(Jolanda Liebmann)

„Ich denke oft daran, wie es sein kann,
dass die Menschen und gerade die Kinder vor Ort so glücklich sein können
und in Deutschland viele schlecht gelaunt sind.
Wir sind wütend, wütend auf die Politik, wütend auf Deutschland oder halt was Anderes.
Und das, obwohl es uns eigentlich so gut geht.
Ich wünschte, wir könnten mehr die Sachen schätzen, die wir haben.“
(Antonia Reche)


Zu der aktuellen Situation von Südafrika gehört natürlich auch der Zustand der aktuellen Demokratie. Dafür besuchten wir unter anderem das Parlament. Die Demokratie ist für viele Südafrikaner:innen sehr erstrebenswert, passt allerdings meinem Eindruck nach nicht mit der aktuellen Realität zusammen. Und das Gefühl strahlte auch schon das Gelände aus. Es passte nur in wenigen Punkten mit dem Südafrika zusammen, was ich zuvor kennengelernt haben. Die

Wahlbeteiligung in Südafrika ist sehr niedrig. Viele gehen nicht wählen, weil sie nicht das Gefühl haben, dass sich was ändern kann. Immer wieder kam auf unserer Reise das Thema materieller Reichtum auf. Menschen steckten sich untereinander in Schubladen von sehr arm bis sehr reich. Den großen Spalt zwischen diesen Welten bekamen wir täglich zu sehen. Der Staat ist aktuell nicht dazu in der Lage, diese Lücke zu verringern. Auch die Jugendlichen aus Südafrika berichteten uns davon: „Der nächsten Generation kann nur beigebracht werden, wie in der heutigen Situation überlebt werden kann.“ Es wird auf Jemanden wie Nelson Mandela gewartet, der die Situation erneut ändert.

Seit dieser Begegnungsreise entstehen immer wieder neue Fragen, die teilweise noch unbeantwortet in meinem Kopf herumgeistern. Dabei geht es nicht nur um Südafrika, sondern generell um das Thema Demokratie, Religion und Kulturen.

Wie viele kulturelle Unterschiede können neben einer funktionierenden Demokratie koexistieren? Wie sehr wird eine Demokratie von Religionen beeinflusst? Wohin steuert die Demokratie, wenn die Religion eine immer kleinere Rolle in unserer Gesellschaft einnimmt? Worin liegt das Potential des Glaubens für unsere Zukunft als Demokratie?

In meinem Kreis in Deutschland habe ich das Gefühl, dass Demokratie das höchste Gut der Gesellschaft ist. Gerade jetzt in diesen doch etwas schwierigen politischen Zeiten. Vielleicht hatte ich deswegen zu Beginn so wenig Verständnis dafür, dass sich Leute aus Südafrika, die ich traf, nicht der Stärke einer Demokratie bewusst sind. Ich bin nach Südafrika gegangen mit nur einem Bild von Demokratie in meinem Kopf. Dabei gibt es so viele verschiedene Arten, Formen und Zwischenstände. In Südafrika wird die Demokratie, in meiner Wahrnehmung, viel mehr als eine Art erster Versuch betrachtet. Die Demokratie kann dort aktuell noch nicht mit den Werte- und Regelsystemen der eigenen Kulturen mithalten und muss sich noch weiterentwickeln. Und vielleicht kann dann irgendwann der große Spalt zwischen Arm und Reich reduziert werden.


„Ich bin sehr dankbar von dieser Reise zurückgekommen.
Dankbar, für jeden Moment den wir erleben durften.
Für jede Geschichte, die uns erzählt wurde und für jede neue Erkenntnis zum Thema Demokratie.
Ich bin dankbar, dass ich als junge Frau wählen gehen darf.
Dass ich selbst mir eine Meinung bilden kann und dass ich jetzt schon weiß,
dass ich später meinen Kindern ebenfalls diese Meinungsfreiheit mitgeben möchte
und wir nicht mehr an strenge kulturelle Traditionen gebunden sind,
in denen bestimmte Gruppen benachteiligt sind.
Die Reise hat mich zum Nachdenken gebracht und ich denke immer noch viel an die Zeit vor Ort.“
(Mirjam Fischer)

 

 

Religion und Demokratie scheinen auf den ersten Blick zwei verschiedene Welten zu sein. Die eine wurzelt in spirituellen Traditionen, die andere in weltlichen Institutionen und rationaler Auseinandersetzung. Wenn Religion keine Rolle mehr in der Gesellschaft spielt, verliert diese einen wichtigen Raum für Sinn- und Wertefragen. Religion bietet Orientierung und stiftet Gemeinschaft. Sie stellt überzeitliche Werte wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Hoffnung zur Verfügung, die gerade in Krisenzeiten Halt geben können. Ohne diese Dimension besteht die Gefahr, dass Demokratie auf rein instrumentelle Mechanismen reduziert wird, ohne die moralische Tiefe, die für ein nachhaltiges Gemeinwohl notwendig ist. Durch gemeinsame Rituale und Symbole wird ein Gefühl der Zugehörigkeit erzeugt, das auch demokratische Prozesse stärken kann.

Die Reise war für uns alle ein sehr bereicherndes Erlebnis. Ein Dank geht an alle, die in irgendeiner Weise an der Organisation beteiligt waren. Noch nie hatte ich das Glück, ein Land auf diese Art und Weise zu erfahren. Es war etwas ganz Besonderes, von Jugendlichen ihr Land gezeigt zu bekommen und ihre Kulturen und ihre Natur kennenzulernen.



„Neben der traumhaften Natur hat das Land auch tolle Menschen zu bieten.
Ganz besonders natürlich alle, die gemeinsam mit uns diese Reise durchgeführt haben.
Wir sind als Gruppe so zusammengewachsen, was an dem Vertrauen und vor allem der Offenheit lag, die uns entgegengebracht wurde.
Alle haben sich bemüht, uns ihr Land und ihre Kultur bestmöglich vorzustellen und dafür bin ich sehr dankbar.“
(Mirjam Fischer)

 

„Unser toller Fahrer Craig war die Tage in Volmoed auch mit dabei und hat mich immer zum Lächeln gebracht,
denn er ist ein sehr lieber Mensch und wir alle haben ihn in der Zeit dort sehr gern gewonnen.“
(Jolanda Liebmann)

 

 

Runa Przyluski absolviert aktuell ihr Masterstudium in Landschaftsarchitektur. Sie lebt in Erfurt.

 

 

 

Artikel veröffentlicht am 24. Januar 2025