Zwischen Polarisierung und Versöhnung
Auf dem Weg des konziliaren Prozesses
ein Tagungsbericht von Andreas Herrmann
Delegierte aus mehr als zwanzig Gemeinden zwischen Neudietendorf und Hamburg, zwischen Amsterdam und Zeist hatten sich in der CVJM-Bildungsstätte Bundeshöhe in Wuppertal versammelt. Unter der Leitung von Pfarrer Christian Flöter, dem Beauftragten der Brüdergemeine für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, stand die Jahrestagung ganz im Zeichen von Verständigung, Versöhnung und praktischem Engagement.
Verständigung als Ausdruck göttlichen Handelns
Ein zentrales Highlight war der Vortrag von Walter Lechner von der Evangelischen Zukunftswerkstatt Midi. Er betonte die Bedeutung von Verständigungsorten in polarisierten Gesellschaften und erläuterte Initiativen der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung. Lechner wies darauf hin, dass die Bibel voller Geschichten von Konflikten und gelingender Kommunikation sei: Jesu Leben, Tod und Auferstehung seien ein „Verständigungsereignis zwischen Himmel und Erde“.
Eine Forsa-Studie mit dem Titel „Verständigungsorte in polarisierenden Zeiten“ zeigt, dass 82 % der Befragten die Gesellschaft als gespalten wahrnehmen. Während die Mehrheit eine kleine, lautstarke Minderheit von der großen Mehrheit unterscheidet, sprechen 48 % von zwei gleich großen Lagern. Nur 38 % sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden – obwohl 61 % das politische System grundsätzlich anerkennen. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit neutral moderierter Diskursräume mit klaren Kommunikationsregeln. In Bibelarbeiten wurden Beispiele wie die Josefsgeschichte, die Praxis der Sündenübertragung und die paulinische Versöhnungslehre besprochen. Diskussionen zu Matthäus 7,12–14 betonten die Verbindung von Glaube und Lebenspraxis.
Versöhnung im globalen und multikulturellen Kontext
Ulrich Epperlein berichtete von seinen Erfahrungen in Nikaragua: Verständigungsorte als Alternative zu Polarisierungen entstünden überall dort, wo Menschen miteinander ins Gespräch kämen – im Bus, auf der Straße oder im Boot. Als Herrnhuter sei es Aufgabe, aktiv auf andere zuzugehen. Er betonte die Bedeutung von Haltung, Moderation und Kommunikationstrainings, um Brücken zwischen Menschen zu bauen.
Im Gespräch mit der niederländischen Theologin Haydy Nelson wurde deutlich, dass Multikulturalität und Versöhnung zentrale Themen in Suriname sind. Nelson berichtete von Dialogen zwischen verschiedenen Ethnien und mit palästinensischen Studierenden. Versöhnung gelinge dort, wo Reue und gegenseitiges Verständnis sichtbar würden – oft zunächst im persönlichen Umfeld. Sie forderte auch für Europa mehr interkulturellen und interreligiösen Austausch.
Gelebte Nachhaltigkeit und Engagement in den Gemeinden
Die Tagung bot vielfältige Einblicke in gemeindliches Engagement:
- Gnadau und Neudietendorf: ökologische Projekte, Unterricht für ukrainische Kinder, Schutz von Flüssen und Feldern
- Amsterdam-Zuidoost und Zeist: interkultureller Austausch, vegetarische Märkte, Veranstaltungen zu Gerechtigkeit und Frieden
- Dresden und NRW: Friedensgebete, Erinnerungskultur, gesellschaftlicher Dialog
- Herrnhut: nachhaltiges Handeln und Bildung, inspiriert vom Tag der Schöpfung 2023
- Rotterdam, Amsterdam-Stad en Flevoland und Hamburg: Plastikvermeidung, energetische Sanierung von Kirchen, Mobilitätslösungen ohne eigenes Auto, fairer Handel
Christian Flöter stellte die „Checkliste für Gemeinden“ vor, die Mobilität, nachhaltige Geldanlagen, Recycling und ökologische Kommunikation umfasst. Jugendliche beteiligen sich über Online-Oasen, Workshops zu Frieden, Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit sowie über Podcasts wie „Lammgeplauder“.
Hoffnung, Herausforderungen und Ausblick
Ein besonderes Erlebnis war der Besuch des Nagelkreuzzentrums an der Gemarker Kirche in Wuppertal. Das Nagelkreuz erinnert an die Zerstörung der Kathedrale von Coventry im Jahr 1940 und steht für Frieden, Vergebung und Feindesliebe – ein lebendiges Symbol gelebter Versöhnung. Angesichts globaler Krisen und wachsender Polarisierung steht die Brüdergemeine vor großen Herausforderungen. Alexander Breitenbach fasste zusammen: „Gemeinsam sind wir stärker als allein.“ Vertrauen, Dialog und der bewusste Einsatz persönlicher Einflussmöglichkeiten seien entscheidend, um Spaltungen zu überwinden.
Als Thema der Jahrestagung 2026 wurde „Frieden schaffen ohne Waffen“ gewählt.
Andreas Herrmann ist Presse-
und Rundfunkbeauftragter
der Evangelischen Brüder-Unität
weiterführende Links zum Thema
Artikel veröffentlicht am 14. November 2025
Artikel veröffentlicht am 14. November 2025







