Ein Leben aus Gottes Händen
Zum Heimgang von Tante Es

Am Morgen des 14. Februar 2025 ist die älteste Einwohnerin Amsterdams gestorben, drei Tage vor ihrem 110. Geburtstag.
Geboren wurde Elselyn Harriëtte Angelique Fa Si Oen im Jahr 1915 – in Europa wütete gerade der Erste Weltkrieg – als viertes von fünf Geschwistern in der kleinen Siedlung Nieuw-Amsterdam. Hier in Suriname genoss sie ihre ersten Lebensjahre in Frieden und inmitten der tierreichen Natur. Sie staunte sowohl über die großen Schiffe, die auf dem Fluss Commewijne das nahegelegene Paramaribo anfuhren, genauso wie über die wilden Affen im Wald. Bis zuletzt hatte sie lebhafte Erinnerungen an die Welt ihrer Kindheit, die sich für das junge Mädchen wie das Paradies anfühlte.
Tante Es, wie sie weithin genannt wurde seit Kinder aus ihrer Verwandtschaft diese Anrede aus Höflichkeit für sie ausgesucht haben, übernahm während des Zweiten Weltkriegs als junge Frau die Leitung der Stadtmission in Paramaribo. Zu ihren Aufgaben zählten dabei Besuche in Krankenhäusern und Gefängnissen. So wurde sie zur wichtigen Stütze für viele.
Nach einer Phase körperlicher Schwäche machte sich Tante Es auf Anraten ihres Arztes Ende 1956 auf den Weg nach Europa. Doch aus dem geplanten Erholungsurlaub wurde ein Umzug. In Zeist, der Gemeinde, der sie seither treu blieb, bezog sie eine Wohnung und arbeitete an einer neuen Auflage des surinamischen Gesangbuchs. Wann immer es ihr möglich war, besuchte sie ihr Heimatland. Ihren Geburtsort Nieuw-Amsterdam sah sie als Hundertjährige zum letzten Mal. „Nirgendwo war ich glücklicher als dort“, bekannte sie der Zeitschrift Het Parool anlässlich ihres 108. Geburtstags.
Auch wenn ihr Körper zuletzt nach einem schweren Sturz nicht mehr so recht mitspielte und Tante Es in ein Reha-Zentrum umziehen musste, blieb sie noch an ihrem Lebensabend meist guter Laune. Aus ihrer Lebenserfahrung von beinahe 110 Jahren heraus empfahl Fa Si Oen ihren Besuchern, einander stets zugewandt zu bleiben. Sicher könne es mal passieren, dass man böse aufeinander ist, doch sollte man schnell etwas dagegen unternehmen. Wir seien schließlich alle – durch Adam und Eva – miteinander verwandt.
Tante Es nahm auch im hohen Alter am gesellschaftlichen Leben teil. Solange es möglich war, besuchte sie die Gottesdienste in der Koningskerk, der Kirche der Gemeinde Amsterdam-Stad en Flevoland. Auch in ihrer Gemeinde Zeist war sie noch manchmal anwesend, etwa im Oktober 2023, als mit Rhoïnde Mijnals-Doth erstmalig eine Frau mit Wurzeln in Suriname zu einer Bischöfin der Brüder-Unität eingesegnet wurde. Als sich der Bewegungsradius verkleinerte und sich Tante Es hauptsächlich in der eigenen Wohnung aufhalten musste, ermöglichte das Fernsehgerät einen Blick nach draußen. Wenn Sport lief, war Fa Si Oen mit großem Interesse bei der Sache: „Ich mag Fußball, und weil ich in Amsterdam wohne, ist Ajax mein Verein. Ich hoffe nur immer, dass der Gegner auch ein Tor schießt, dann sind alle glücklich.“ Zu ihrem 108. Geburtstag wurde sie vom Verein in die Johan-Cruyff-Arena eingeladen.
Geheiratet hatte Elselyn Harriëtte Angelique Fa Si Oen übrigens nie. Als Grund dafür gab sie verschmitzt an, dass sie viel zu gern durch die Welt gereist sei. So sei sie bereits in den USA, in Dänemark sowie in einigen Staaten Asiens gewesen. In China besuchte sie die Gräber ihrer Großeltern und ihres Vaters, der während einer Reise in sein Geburtsland starb, als Fa Si Oen sieben Jahre alt war.
Ihrer geistlichen Heimat, der Herrnhuter Brüdergemeine, war sie seit ihrer Kindheit eng verbunden. Ihr Glaube leitete sie ihr ganzes langes Leben: „Ich danke meinem Gott. Alles, was ich bekomme, kommt aus seinen Händen.“
Christian Flöter ist Verantwortlicher der Öffentlichkeitsarbeit der Evangelischen Brüder-Unität. Er lebt mit seiner Familie in Herrnhut.
Artikel veröffentlicht am 14. Februar 2025