ein Bericht von Katharina Rühe

Zu einem Bibliodrama-Workshop kamen am dritten Adventswochenende sechs Bibliodrama-Fans und zwei Bibliodramaleitende in Herrnhaag zusammen.

Das Ziel eines Bibliodramas ist es, biblische Texte den Menschen, in deren Leben sie nicht eine so große Rolle spielen oder sie im Getrubel des Alltags untergehen, wieder ganz nah an das eigene Erleben heranzubringen. Das geschieht, indem biblische Geschichten aber auch andere wichtige biblische Texte mit unseren persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen im dramatischen Spiel und mit kreativen Methoden verknüpft werden.

Unsere biblische Erzählung war die vom verlorenen Sohn aus Lukas 15, 11 – 32.
Da stellten sich viele Fragen: Wie ist es, aus dem Elternhaus wegzugehen? Was bedeutet es, eigene Erfahrungen zu sammeln? Welchen Stellenwert haben Freundschaft, Reichtum und Besitz? Wie ist es, wenn alles schiefläuft? Wie gehe ich mit eigener Schuld um? Wo kann der Weg weitergehen? Das sind alles bekannte Erfahrungen.

Wir Teilnehmenden begaben uns in eine der verschiedenen Lebensstationen des jüngeren Sohnes hinein. In einem Interview wurden wir nacheinander befragt, welche Gedanken uns durch Kopf, Herz und Seele gehen würden. So erlebten wir die ganze Bandbreite der Gefühlswallungen des jungen Mannes mit - von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Ideen von Freiheit, Schuld und Verantwortung kamen zur Sprache.

In einem zweiten Teil begaben wir uns auf den Weg des Sohnes, der sich entschlossen hatte, zum Elternhaus heimzukehren und als Tagelöhner statt als Erbe sich dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Es war ein Weg voller Furcht. Viele Fragezeichen und Zweifel tauchten auf: Was wird werden, wenn ich dort ankomme? Wie wird das Zusammentreffen mit dem älteren Bruder werden? Da war die Furcht, abgelehnt zu werden: Ich wäre selbst schuld! Was wäre, wenn ich noch tiefer sinken würde? Nach all den Erfahrungen der zurückliegenden Zeit gab es eine Furcht vor den Menschen überhaupt? Was werden sie mir, der ich hier unten bin, antun?

Es war eine wichtige Erfahrung für mich, die ich Furcht eigentlich nicht kenne, mich in diese Situation hineinzubegeben. Ich versteckte mich am Rande der Gesellschaft unter meinem großen Tuch. Wie ein Kind sollte niemand mich wahrnehmen.
So ist es wohl, wenn etwas geschehen ist, das tiefe Furcht vor Menschen verursacht. Dann lebt sie tief drinnen weiter. Sie möchte nicht heraus, weil alles, was geschehen ist, wieder hervorholt werden würde. Das könnte die Seele nicht ertragen.

Aber da war doch noch ein anderes Element im Sohn neben der Furcht: Die Erfahrung aus der Kindheit, dass die Eltern gut nicht nur zu ihm gewesen waren. Diesen kleinen Funken Hoffnung zu zeigen, bekamen einige als Aufgabe.

Was geschah? Wir Furchtsamen konnten uns dem Lächeln, dem Frohen der anderen nicht öffnen. Was, wenn das nur vorgeschoben wäre, sie uns lockten und doch uns Schaden zufügen wollten?

Eine blieb beharrlich und in Entfernung an mir dran. Sie verwies mich auf etwas, das außerhalb von ihr lag. Sie zeigte mir einen kleinen Herrnhuter Stern, der erleuchtet war. Sehr langsam ließ ich mich darauf ein, dem Licht vorsichtig entgegen zu gehen.
Am Ende standen die Frau und ich am Stern, streckten uns beide nach ihm aus, ließen unsere Blicke darauf ruhen. Auch die anderen Fürchtenden und alle Hoffenden waren nun am Stern angekommen. Es kehrte Frieden ein.

Das war ein Spiel. Es hat mich jedoch einiges gelehrt:

  • Wir können nicht die Hoffnung, die in uns ist, einfach auf andere übertragen. Wir können nur von unserer Geschichte erzählen. Wir können von dem Stern berichten, der in unserem Leben eine Rolle spielt.
  • Hoffende können nur vorsichtig begleiten, müssen auch Abstand halten lernen, denn wir wissen ja nicht, was die andere Person erlebt hat. Wir können höchstens fragen, was dem Gegenüber helfen könnte.
  • Wie gut, dass wir eine außerhalb von uns liegende Hoffnung haben, die Gott uns gegeben hat in Jesus Christus. Eine Kraft, die Gnade für mich und andere möchte. Eine die göttlich ist und jenseits von menschlichen Gefühlen und Befindlichkeiten wirkt. Die einfach den einzelnen Menschen im Blick hat und letztlich unsere Heilung will. Das will uns das Gleichnis vom verlorenen Sohn lehren, das Jesu erzählt, mit dem er seinen Vater, Gott, beschreiben will.


Dieses Bibliodrama war mir wieder eine Lehre und den anderen Fünfen ebenfalls. Dank sei den beiden Leitenden, Trevor Engel aus Bonn und Südafrika, und Els Claessens aus Leuven in Belgien!

Dieser Preworkshop war einer von fünfen, die in verschiedenen Ländern, mit denen wir als Herrnhuter verbunden sind, in diesem Jahr durchgeführt wurde.
Wir haben das Ziel, im August je zwei Teilnehmende aus Südafrika, Tschechien, Tansania, den Niederlanden und Deutschland zu gewinnen, die an einem Bibliodrama Training in Herrnhaag teilnehmen und diese Öffnung der Bibel mit in ihre Gemeinden oder Kontexte nehmen können. Auch an eine weitere Ausbildung dafür wird gedacht. Insbesondere in Tansania hat dieser Workshop großes Interesse hervorgerufen, und ich blicke dem Ereignis mit großer Neugier entgegen.

 

Veranstaltungshinweis:
Auch andernorts kann man sich biblischen Geschichten über ein Bibliodrama nähern, z. B. am 18. Januar zusammen mit der Herrnhuter Sozietät Bern. Anmeldungen dafür an angela.buechel@kathbern.ch.

 

Katharina Rühe ist als Gemeinhelferin der Brüdergemeine im Bereich Rhein-Main tätig.
Fotos: Erdmute Frank

 

Artikel veröffentlicht am 10. Januar 2025