275 Jahre Brüdergemeine in Neuwied
Eine reich begabte Gemeinde
ein Gruß von Friedrich Waas
Seit 275 Jahre leben nun schon Herrnhuter Christinnen und Christen als Schwestern und Brüder in Neuwied. Ein Anlass zu feiern, ein Grund zu danken und ein Antrieb, in die Zukunft zu denken. Wir gratulieren herzlich und freuen uns mit. Das nachfolgende persönliche Grußwort von Br. Friedrich Waas, Bischof der Brüder-Unität, wirft ein Schlaglicht auf all die Gaben der Neuwieder Gemeinde.
Anfang des Jahres 1997, als wir überraschenderweise nach Neuwied berufen wurden, gab es mit dem Ältestenrat ein Gespräch zum Kennenlernen. Die erste Frage an mich war: „Bruder, wie hältst Du es mit der Ökumene?“ Anscheinend habe ich diese Frage zufriedenstellend beantwortet, denn der Ältestenrat zeigte sich mit der Berufung einverstanden. Ökumene ist ein Qualitätsmerkmal der Brüdergemeine in Neuwied. Das liegt an der Geschichte, die der Stadt eine große konfessionelle Vielfalt beschert hat, und an Familien, die beispielhaft ökumenische Gemeinschaft gelebt haben. In Neuwied gab es nicht nur ökumenische Arbeitskreise, sondern regelmäßige Zusammenarbeit, Pilgerfahrten, Feste und Gottesdienste mit gemeinsamem Abendmahl. So habe ich das in keiner anderen Brüdergemeine erlebt. Da war es nicht verwunderlich, dass wir einmal gebeten wurden, den Gottesdienst zum Beginn der Friedensdekade in Deutschland zu halten, und 2001 der Fernsehgottesdienst zum Weltgebetstag aus Neuwied gesendet wurde.
Die Brüdergemeine in Neuwied hat sich immer als eine Gemeinde der weltweiten Unität verstanden. Nachrichten aus anderen Provinzen waren gefragt, Besuche immer willkommen. Seit in den 70er Jahren die Geschwister Frans und Freda Engel aus Südafrika für einige Jahre im Rahmen des Gemeindiener-Austauschs in Neuwied mitarbeiteten, waren die Kontakte zu dieser Unitätsprovinz besonders intensiv. Neuwieder besuchten Südafrika und arbeiteten dort als Fachkräfte. Mehrfach hatten wir aus Südafrika Gäste und Praktikantinnen, junge und ältere Schwestern, die im Altenheim oder in Familien fachkundig und tatkräftig mitarbeiteten. Später kam durch Geschwister Vollprecht noch die Verbindung mit Suriname dazu. Und als in Lettland Handwerker gebraucht wurden, machten sich Brüder aus Neuwied auf den Weg.
Neuwied ist eine musikalisch begabte Gemeinde. Der Kirchenchor ist nicht groß, aber zu allen Festen einsatzbereit. Und wir haben mehrfach auch Kantaten und größere Werke aufführen können. Öffentlich wirksamer und bekannter ist der Bläserchor, gut zu hören bei vielen Gelegenheiten in der Gemeinde und in der Stadt. Als es 1998 ein Jubiläum mit einem besonderen Konzert zu feiern gab, war auch die Fürstliche Familie unter den Gästen. Dem Fürsten gefiel die Bläsermusik ganz besonders, sodass wir ihn fragten, ob es denkbar wäre, beim kommenden Bläsertag das Festkonzert im Hof vor dem Schloss zu spielen. Er fand die Idee sehr gut. Und als es so weit war, lud er nach der Musik alle Bläser und Zuhörer zu Kaffee und Kuchen ein – und alle wurden satt.
In Neuwied ist das Herrnhuter Viertel nicht nur als barockes Städtchen in der Stadt, sondern vor allem durch seine sozialen Einrichtungen bekannt. In früheren Zeiten schätzte man wohl vor allem die Handwerksbetriebe, davon ist leider nicht mehr viel übriggeblieben. Heute dient das Karree hinter dem Kirchensaal den Kindern und der Jugend, auch den Festen der Gemeinde, das gegenüberliegende mit seinem Garten mehr den alten Menschen. Kinderhaus, Jugendräume und Altenzentrum sind offen für die Menschen aus der Stadt und prägen das Bild der Brüdergemeine. Einmal kam der Ministerpräsident zu Besuch und erfuhr, dass die Kinder und die Senioren jeden Tag zusammen zu Mittag essen – so war das damals – da erhielten wir gleich den Landes-Preis für vorbildliches Miteinander der Generationen. Bis heute gibt es viel Gemeinsames rechts und links der Friedrichstraße.
Bei aller Freude über eine vielfältig begabte Gemeinde, die gute und geachtete Dienste für die Stadt tut, dürfen wir nicht vergessen, wie gut es für eine lebendige Gemeinde ist, wenn sie das tägliche Leben miteinander teilt. So erreicht man auf kurzen Wegen die Versammlungen und trifft sich auch im Alltag. Neuwied hat viele Jahre daran gearbeitet, das Herrnhuter Viertel zu einem einladenden, lebenswerten und familienfreundlichen Wohnviertel zu gestalten. Nur wenige Junge und Ältere in der Gemeinde nehmen diese guten Möglichkeiten wahr. Doch es gibt neue Bewohner des Viertels, der Nachbarschaft und Mitarbeitende, die den Weg in die Gemeinde finden.
Einige werden es noch wissen, dass in Neuwied in den Zeiten, als „Deutsche Christen“ ein nationalistisch verfälschtes Evangelium predigten, die Brüdergemeine ein Ort guter Predigt und eine Zuflucht für Verfolgte war. Zuverlässige Verkündigung und offene Türen für Fremde sind auch heute Merkmale einer Gemeinde, die nicht „verweilen“ will, dem Herrn Jesus Christus „nachzueilen“. – Ist das nicht ein guter Wunsch für die kommenden Jahre?
Friedrich Waas war von 1997 bis 2006 Gemeinhelfer in Neuwied.
Jetzt ist er im Ruhestand und als Bischof in Herrnhut.
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Artikel veröffentlicht am 03. Oktober 2025
Artikel veröffentlicht am 03. Oktober 2025










