Quellen und Anmerkungen
[1] Schreiben von Martin Dober an die Gemeine in Herrnhut am 16. Juni 1731 (UA, R.15.B.a.1.1.2.a)
[2] Begegnungen mit dem Indienmissionar Bartholomäus Ziegenbalg in Großhennersdorf und in Halle (Saale)
[3] Bis zu Zinzendorfs Tod wurden 226 Missionare ausgesandt (E. Beyreuther, Geschichte des Pietismus, S 196). Mittlerweile beträgt ihre Zahl mehr als 3.500 (Die Evangelische Brüder-Unität, S.22).
[4] Zinzendorf, Jüngerhaus-Diarium vom 29. Juli 1750
[5] Zinzendorf 1744 (UA R.2.A.12.1)
[6] Zinzendorf 1747 (UA R.2.A.23a.1)
[7] Zinzendorf, Zeister Reden, 1746-47, Bd. 3, S. 187f.
[8] Zinzendorf, Methodus der Wilden Bekehrung, 1742/43
[9] Zinzendorf, 21 Discurse über die Augsburgische Konfession, 1748
[10] Zinzendorf, Kurze Instruction für meinen Br. Schmidt nach Cabo, 1736
[11] Spangenberg, Leben des Grafen Zinzendorf, S. 1164.
[12] Zinzendorf, Pennsylvanische Reden I, S. 92
[13] Bis 1782 kamen allein auf den drei dänischen Jungferninseln 127 Missionare inkl. Kinder ums Leben.
[14] Diskriminierende Fremdbezeichnung der Europäer für den besser »Khoi-Khoi« genannten Volksstamm.
[15] Zinzendorf, Zeister Reden, 1746-47, Bd. 3, S. 189
Die Herrnhuter Mission – Ein kurzer geschichtlicher Abriss
Die Herrnhuter Brüdergemeine gilt als die erste Kirche, in der von Anfang an nicht nur Einzelne, sondern ganze Gemeinden für die Mission brannten. Ihre Mission geschah zu allen Zeiten ohne imperiale Hintergedanken. Sie kannte nur ein Ziel, »dass die Heiden viel von unserem Heiland erfahren«. Als Antriebsfeder für die Mission reichte das Wissen, »dass es noch Seelen gibt, die nicht glauben können, weil sie nichts (von Jesus) gehört haben«. [1]
Obwohl der Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-1760) schon in jungen Jahren mit der äußeren Mission in Berührung gekommen war [2], kam es in Herrnhut erst am 21. August 1732 zur Aussendung der beiden Missionare Leonhard Dober (1706-1766, ein Töpfer aus Franken) und David Nitschmann (1696-1772, ein Zimmermann aus Mähren).
Auslöser für diese Aussendung war eine eindrückliche Begegnung, die mehrere junge Männer nicht mehr losließ. Ein so genannter »Kammermohr« namens Anton, ein schwarzhäutiger Diener vom dänischen Königshof, hatte bei einem Gemeindeabend in Herrnhut von der geistlichen und sozialen Not der Sklaven auf den Zuckerrohrinseln in der Karibik berichtet.
Fast mittellos und nur auf ihrer Hände Arbeit angewiesen, machten sich in den Folgejahren Hunderte Sendboten [3] auf den weiten und gefahrvollen Weg über alle Weltmeere und in alle Klimazonen. Gezielt wirkten sie dort, wo sonst noch niemand missioniert hatte. Gezielt suchten sie die Sklaven, Indigene und andere besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf. Niemals strebten sie Massenbekehrungen an. Immer galt ihre Aufmerksamkeit dem Einzelnen. Graf Zinzendorf warnte ausdrücklich davor, »ganze Nationen zu bekehren, aber nicht viel Jünger zu machen« [4]. Er lehrte: »Der unbekehrten Heiden (oberflächliche) Christianisierung ist ein Werk des Teufels und sie werden danach unglücklicher und unseliger« [5].
Zinzendorf und in seiner Nachfolge den Missionaren der Herrnhuter Brüdergemeine ging es nicht um die systematische Gründung von Gemeinden oder gar Kirchen, sondern um die Gewinnung von »Erstlingen«, das heißt, um die Seelsorge an einzelnen engagierten Christen, die sich dann ihrerseits der Mission widmen konnten: »Wir suchen Erstlinge aus den Nationen, und wenn wir deren zwei bis vier haben, so überlassen wir sie dem Heiland, was er durch sie tun will« [6].
Mission soll vor allem in die Tiefe gehen und nicht in die Weite. Sie soll gute Früchte tragen und nicht rasche Erfolge zeitigen. Zinzendorfs Missionstheologie trägt ausgesprochen moderne, ja ökumenische Züge. Welcher Konfession die bekehrten »Heiden« sich später anschlossen, war ihm letztlich egal. Er wusste Gott in allen Konfessionen am Werke. Wiederholt und scharf sprach er sich gegen Proselytenmacherei aus. »Wir sollen uns nicht mit Kirchenmachen übereilen unter den Heiden, mit Gemeinen stiften, sondern wir sollen des Heilands (seelsorgerliche) Methoden observieren« [7].
Die Herrnhuter Brüdergemeine ist daher, trotz ihrer missionarischen Wirksamkeit, auf allen Kontinenten zahlenmäßig relativ klein und, von Ausnahmen abgesehen, unbedeutend geblieben. Keineswegs sah die Brüdergemeine in den verschiedenen Missionsgebieten Landstriche, die zuvor ausschließlich zum Reich der Finsternis gehört hätten.
Die Boten wussten, dass Gott schon lange vor ihnen an den »Heidenseelen« gearbeitet hatte, dass sie also immer nur Zweite waren. Den eigentlichen Missionar erkannten sie in Christus und in Christi Geist: »Der Wilden Herz muss erst präpariert werden. Es muss schon etwas vom Herrn auf sie gefallen sein, dass sie sagen: hier sind wir« [8]. Unentwegt ist der Geist Gottes dabei, das Erlösungswerk voranzutreiben: »Er hat die ganze Erde zu seinem Bette gemacht ... und geschwebt über der Welt wie zur Zeit der Schöpfung. Bald sind in dem Lande, bald in einem anderen, bald hüben, bald drüben, Zeiten und Stunden gewesen, da der Heilige Geist auf besondere Art auf die Menschen gewirkt hat« [9].
Es lag den Missionaren daher fern, die Kultur der Eingeborenen gering zu schätzen. Im Gegenteil, sie taten viel für die Pflege und Bewahrung fremder Sprachen und Gebräuche. In der Regel passten die Missionare sich auch persönlich der Lebensweise der Eingeborenen an oder übernahmen diese sogar. Es gibt zahlreiche Zeugnisse dafür, dass die Missionare die vermeintlich überlegene Kultur des christlichen Abendlandes ausgesprochen kritisch sahen. Mehrfach machten von Europa ausgehende kriegerische Auseinandersetzungen das Werk der Mission wieder zunichte.
Ganz überwiegend waren es einfache Handwerker und keine gebildeten Theologen, die in die Welt hinaus gesandt wurden. Der vorherige Besuch einer speziellen Missionsschule bürgerte sich erst später ein. Die Handwerksarbeit sollte den Missionaren vor Ort wirtschaftliche Unabhängigkeit verleihen und ihnen darüber hinaus einen leichteren Zugang zu den Heiden eröffnen. An den Südafrika-Missionar Georg Schmidt schrieb Zinzendorf 1736: »Lass dich allenthalben zur leiblichen Arbeit brauchen, bis du dadurch Liebe und Eingang in die Herzen kriegst« [10].
Den Missionaren lag nicht nur das Heil, sondern auch das Wohl der ihnen anvertrauten Heiden am Herzen. Sie standen deshalb der Sklaverei kritisch gegenüber; mehrfach gab es Aktionen zum Freikauf von Sklaven. Durch die Integration von Einheimischen in die christliche Gemeinde, insbesondere durch schulische und berufliche Unterweisung und durch die Übertragung von Ämtern, leisteten die Missionare viel zu deren Aufwertung.
Von Anfang an war die traditionelle missionarische Ansprache mit Entwicklungshilfe sowie mit medizinischer Fürsorge gekoppelt. Die Anrede »Bruder« und »Schwester« wurde mit großer Selbstverständlichkeit auch gegenüber Menschen mit schwarzer, brauner, roter und gelber Hautfarbe gebraucht. Berühmt geworden ist der Handkuss, mit dem der Graf Zinzendorf 1738 auf seiner ersten Amerika-Reise die soeben aus der Haft entlassene Mulattin Rebecca begrüßte, um damit deutlich zu machen, »wie teuer und wert ihm diese Leute wären« [11], eine unerhörte Begebenheit für das Zeitalter des Barock.
Weil Zinzendorf der Überzeugung war, dass »des Heilands sein Predigtstuhl, sein Lehrstuhl, so weit und so groß als die ganze Welt ist« [12], breitete sich die Mission der Brüdergemeine binnen weniger Jahre trotz großer personeller und finanzieller Opfer [13] mit großer Geschwindigkeit über alle Kontinente aus. Oftmals betraten die Missionare dabei Boden, den vor ihnen noch kein Europäer betreten hatte. Klimatische Hürden konnten sie dabei nicht abschreckten: Sie gründeten Stationen im tropische Urwald von Westindien, an den breiten Flüssen im Norden von Südamerika und am wilden Golf von Bengalen. Sie bauten Versammlungsstätten nahe des ewigen Eises von Grönland, an den unwegsamen Küsten von Labrador und in den fernen Weiten von Alaska. Sie trotzten der vermeintlichen Gefährlichkeit der nordamerikanischen Indianer, der südafrikanischen »Hottentotten« [14] und der mongolischen Kalmücken an der unteren Wolga.
Längst nicht immer gelang es ihnen, alsbald Taufen zu vollziehen oder gar Gemeinden zu gründen. Aber sie legten überall mutig Zeugnis ab von der Liebe Gottes und sie gaben dieser Liebe sichtbare Gestalt.
Von manchen Missionaren wird in ihren ehemaligen Wirkungsgebieten noch heute geredet, weil sie als Christen oder auch als Wissenschaftler, vor allem aber als Menschen tiefe Spuren im Gedächtnis der Völker hinterließen: von Leonhard Dober und David Nitschmann auf der Insel St. Thomas, von Matthäus Stach und Samuel Kleinschmidt in Grönland, von Georg Piesch und Georg Berwig in Suriname, von David Zeisberger und Heinrich Rauch in Pennsylvanien, von Georg Schmidt und Christian Kühnel in Südafrika, von Conrad Neitz und Christian Hamel in Sarepta (heute Wolgograd), von Eugen Lundberg und August Martin in Nikaragua, von Eduard Pagell und Wilhelm Heyde in Tibet, von Theodor Meyer und Traugott Bachmann in Tanzania.
Doch Hunderte andere Männer – und fast ebenso viele bewundernswerte Frauen – taten in gleicher Treue zumeist jahrzehntelang ihren Dienst, nicht selten auf zwei oder drei Erdteilen, und erstatteten zwischendurch in der Heimat Bericht.
Die Brüdergemeine ist zu allen Zeiten durch das, was in der Mission geschah, nachhaltig befruchtet worden. Sie kam deshalb nie in die Versuchung, Mission als »Einbahnstraße« zu sehen. Es erstaunt, mit welch visionärer Kühnheit bereits Zinzendorf wusste, dass die abendländische Christenheit eines Tages angesichts ihrer Säkularisierung der geistlichen Erneuerung aus der Dritten Welt bedürfen würde: »Vielleicht, wenn alle die Lande, darinnen jetzt die Christen wohnen, ganz wieder zu Heidentum geworden sind, alsdann wird die Stunde von Afrika, Asien und Amerika kommen, in die Nationen hinein« [15].
Text: Andreas Tasche