4. In den letzten 150 Jahren konnten wir lernen, dass jedes Wirtschaftssystem, das Menschen ihrer Freiheit, ihrer Würde und ihrer Rechte beraubt, wie es die Sklaverei getan hat, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mit dem biblischen Bild vom Menschen als Gottes Ebenbild unvereinbar ist. Aus diesem Grund beklagen wir die beschämende Weise, in der sich die Mission unserer Kirche in Surinam an der Sklaverei unkritisch beteiligt und sich dem darauf aufbauenden, menschenverachtenden System der Ausbeutung nicht klar und deutlich widersetzt hat. Beschämt stehen wir vor diesem Aspekt unserer Geschichte als Brüdergemeine in Deutschland und den Niederlanden und bitten die Nachfahren der zu Sklaven gemachten Schwestern und Brüder um Vergebung und Neuanfang.
5. Wir treten dafür ein, dass die Brüder-Unität eine Gemeinschaft von freien Schwestern und Brüdern wird. Darum laden wir Euch alle ein, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Auf diesem Weg sind unserer Meinung nach folgende Schritte nötig:
- Die Geschichte der Mission muss - auch im Hinblick auf ihre problematischen Aspekte – neu aufgearbeitet werden.
- Es ist zu untersuchen, in wie weit theologische Traditionen und kulturelle Denkmuster dazu führten, dass unsere Kirche sich unkritisch wirtschaftlichen und politischen Interessen anpasste. So können wir dazu beitragen, dass heute und in Zukunft solche und andere Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt und abgewendet werden.
- Die Strukturen in unserer Kirche, ihren Gemeinden, Gremien und Werken sind darauf zu überprüfen, ob sie die gleichberechtigte Partizipation aller Mitglieder unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit und kultureller Verwurzelung zulässt und stärkt.
- Direkte Gespräche zwischen Nachfahren der zu Sklaven gemachten Brüder und Schwestern und den Nachfahren der Missionare, wollen wir ermöglichen und fördern. Diese Gespräche in den Gemeinden und auf übergemeindlicher Ebene sollen helfen, die Vergangenheit zu verstehen und einander heute als Geschwister anzunehmen, um gemeinsam Zeugnis von der vergebenden Liebe Jesu Christi ablegen zu können.
6. Wir sind aufgrund unserer Geschichte und unserer gegenwärtigen Situation in besonderer Weise verbunden mit der Evangelischen Brüdergemeine in Surinam. Wir bekräftigen diese Verbindung, wollen sie pflegen und immer neu mit Leben füllen.
7. Wir verstehen unsere kulturelle und theologische Vielfalt als eine Kraft, die uns befähigen kann, wach zu sein für Diskriminierung und Rassismus unter uns und in unserer Umgebung. Wir rufen unsere Gemeinden und Mitglieder dazu auf, sich allen Formen von Rassismus und Diskriminierung zu widersetzen.
Unseren Herrn und Heiland Jesus Christus bitten wir, die Verletzungen aus der Vergangenheit durch die Kraft seiner vergebenden Liebe zu heilen, uns auf unserem gemeinsamen Weg in die Zukunft zu begleiten und uns durch seinen Heiligen Geist zur Freiheit zu befähigen.
Bad Boll, Herrnhut und Zeist im Juni 2013
Ein Wort der Kirchenleitung
der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität (Herrnhuter Brüdergemeine)
In der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität mit Gemeinden in Deutschland, den Niederlanden und weiteren europäischen Ländern denken wir in diesem Jahr an das Ende der Sklaverei in Surinam vor 150 Jahren.
Unsere Kirche ist mit diesem Land, das von 1667 bis 1975 eine niederländische Kolonie war, und mit seiner Geschichte eng verbunden:
- Seit 1735 brachen viele Männer und Frauen aus unseren Gemeinden nach Surinam auf, um dort vor allem den zu Sklaven gemachten Afrikanern die Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus zu verkündigen. Aus dieser Missionsarbeit entstand eine protestantische Volkskirche, die 1963 als Evangelische Broedergemeente in Suriname unabhängig wurde.
- Die Mehrheit der Mitglieder der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität hat heute ihre Wurzeln in Surinam und der dortigen Herrnhuter Brüdergemeine.
Wir sehen uns deshalb 150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei in Surinam verpflichtet, uns mit der Geschichte der Sklaverei und der Rolle, welche die Mission in diesem Land dabei spielte, auseinanderzusetzen um dazu Stellung zu nehmen. Wir tun dies im Bewusstsein, dass wir in unserer Kirche füreinander verantwortlich und einander Rechenschaft schuldig sind.
Als Kirchenleitung der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität tragen wir Verantwortung für unsere Kirche in ihrer heutigen Gestalt und stehen gleichzeitig in der Nachfolge der Leitungsorgane vergangener Jahrhunderte.
Darum erklären wir:
1. Der Missionsarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine kommt das Verdienst zu, den zu Sklaven gemachten Männern und Frauen das Evangelium von Jesus Christus verkündigt und ihnen gleichzeitig Bildung und eine Verbesserung ihres Gesundheitswesens gebracht zu haben. Die Missionare achteten damit die Sklaven und Sklavinnen als Menschen mit der auch für sie geltenden eigenen Würde. Dabei fühlten sie sich vor allem den einzelnen Menschen verpflichtet.
2. Die Missionsarbeit hat jedoch nicht dazu beigetragen, das menschenverachtende System der Sklaverei zu ändern oder es aufzuheben. Die Brüdergemeine hat in Surinam selbst Sklaven besessen. Sie war weder bereit noch im Stande, die Sklaverei grundsätzlich in Frage zu stellen. Auch nachdem dieses System in den Nachbarkolonien nach 1830 aufgehoben wurde und das Ende der Sklaverei auch für Surinam nahte, blieben leitende Personen der Brüdergemeine bei dieser Haltung.
3. Die Geschichte der Sklaverei in Surinam prägt bis heute unsere gegenseitige Wahrnehmung und unser Selbstbild: In der Art wie wir miteinander umgehen sind Bilder von Höherwertigkeit und Minderwertigkeit noch lange nicht aus unserem Bewusstsein verschwunden. Das ist auch innerhalb der Brüder-Unität der Fall: Es wurde selbstverständlich davon ausgegangen, dass europäische Tradition, Kultur und Theologie Maßstab für kirchliches Leben sei. Es fehlte bisher meist die Einsicht und die Bereitschaft, die belastende Vergangenheit gemeinsam mit den Betroffenen aufzuarbeiten und Versagen, Schuld und Leid zu benennen und anzuerkennen.