Kontakt mit Martin Luther
Bald nach dem Beginn der Reformation in Deutschland 1517 und in der Schweiz 1522 nahmen die Böhmischen Brüder Kontakt mit den neuen Bewegungen auf. Denn auch wenn sie eine andere Geschichte hatten, gab es viele Gemeinsamkeiten. Die ersten Kontakte gingen in das lutherische Wittenberg, wohin ab 1530 Studenten der Böhmischen Brüder geschickt wurden. Später entdeckte man vermehrt Gemeinsamkeiten mit den Reformierten, die ein größeres Schwergewicht auf die Gemeindeordnung legten. Eine große Nähe empfand man mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer, der 1538/39 in Hessen die Konfirmation für die Kirchen der Reformation eingeführt hatte. 1540 besuchten ihn die Brüder; er war zu Tränen gerührt, als er hörte, dass sie die Konfirmation als persönliche Bestätigung der Taufe schon seit Jahrzehnten kannten.
Schulische Bildung
Auch wenn die Böhmischen Brüder kritisch gegenüber zu viel Luxus waren, förderten sie die Bildung ihrer Gemeindeglieder. Die Kinder sollten lesen lernen, denn für ihren Glauben war es wichtig, dass sie die Heilige Schrift selbst lesen konnten. Am Anfang wurden sie von den Familienvätern und Priestern unterrichtet; seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gab es eigene Schulen.
1502 erschien der erste Katechismus unter dem Titel »Kinderfragen«. 1531 gab Michael Weiße das erste deutsche Gesangbuch heraus und 1541 Johann Horn das erste tschechische. Die erste tschechische Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen durch den Brüderbischof Jan Blahoslav erschien 1564. Unter seiner Leitung nahm die Bildung in der Unität weiter zu. Er regte eine Übersetzung der ganzen Bibel an, die jedoch erst nach seinem Tod zwischen 1579 und 1594 in sechs Einzelbänden erschien. Diese Kralicer Bibel ist bis heute ein wichtiges Stück tschechischer Kulturgeschichte.
Verfolgungen und Flucht
Die alte Brüder-Unität blieb in der ganzen Zeit ihres Bestehens eine Minderheitskirche. Sie war Spielball der Mächtigen und erlebte zahlreiche Verfolgungen. Dadurch sind die Böhmischen Brüder ein Vorbild für eine Kirche ohne Macht, die dennoch treu an ihrem verbindlichen Glauben an Gott festhielt.
1548 beschloss der böhmische König Ferdinand, dass alle Gebetshäuser der Brüder-Unität geschlossen werden sollten. Die Verfolgungen begannen. Zu dieser Zeit gab es etwa 60 Gemeinden in Böhmen und 80 bis 90 in Mähren, viele von ihnen mit eigenen Schulen. Dort, wo die Verbote am rigorosesten durchgesetzt wurden, waren die Brüder und Schwestern gezwungen, auszuwandern. In Polen entstanden innerhalb von fünf Jahren 15 neue Gemeinden - der polnische Zweig der Unität war entstanden.
Ende und Neuanfang
Von 1618 bis 1648 verwüstete der Dreißigjährige Krieg weite Teile von Europa. Der Westfälische Friede war ein Kompromiss mit einem großen Schönheitsfehler. Es wurde festgehalten, dass in allen Ländern nur noch eine Konfession wirken dürfe. In Böhmen war das der Katholizismus. Jan Amos Comenius, der letzte Bischof der Brüder-Unität in Böhmen, schrieb 1650 ein bewegendes Testament, mit dem die sterbende Mutter Brüder-Unität ihr Vermächtnis weitergab: an die »eigenen Kinder«, die in Treue und Verfolgung weiter lebten, und an die »evangelischen Schwestern«, die lutherischen und reformierten Kirchen.
1722 siedelten sich Nachfahren der Böhmischen Brüder auf dem Gut des Grafen Zinzendorf in der Oberlausitz an und gründeten Herrnhut. Sie entdeckten ihre Geschichte neu, durch eine Schrift von Comenius. Zinzendorf wurde 1737 in Berlin von dessen Enkel Jablonski zu einem Bischof der Brüder-Unität ordiniert.
Die Böhmische Reformation
Seit etwa 1360 wandten sich Prediger im böhmischen Prag öffentlich gegen Missstände in der Kirche. Sie predigten auf Tschechisch und auf Deutsch. Große Menschenmassen strömten herzu, denn so wurde der Glaube für sie spannend und lebensnah. 1391 wurde die Bethlehemskapelle gebaut, eine Predigtkirche für 3.000 Menschen.
Hier predigte auch Jan Hus. Bald nach seinen öffentlichen Auftritten wurde der Kelch das Symbol der von ihm ausgelösten Bewegung. Dahinter stand die Forderung, dass nicht nur Priester das Abendmahl in Brot und Wein empfangen sollten. Auf dem Konzil von Konstanz, der großen abendländischen Kirchenversammlung, wurde Jan Hus inhaftiert und 1415 zum Tode verurteilt und verbrannt. Sein Einstehen für Wahrhaftigkeit in der Kirche ist nicht untergegangen.
Einige Hus-Anhänger zogen ins südböhmische Tábor, um ein endzeitliches Jerusalem aufzubauen. Andere blieben in Prag und bildeten die Utraquistenkirche. Ihr Name bezieht sich auf das lateinische Wort für den Genuss des Abendmahls »in beiderlei Gestalt« (als Brot und Wein).
Die Brüder-Unität wird in Kunvald gegründet
Von den Predigten des utraquistischen Bischofs Jan Rokycana (um 1390- 1471) in der Prager Teynkirche wurde auch sein Neffe Gregor (Řehoř) inspiriert. Er empfand einen starken Widerspruch zwischen den Predigten Rokycanas und den Kompromissen, die er als Kirchenführer machte. Vermutlich 1457 zog Gregor mit einigen Brüdern in das Dorf Kunvald. Sie bildeten die erste Gemeinde der Brüder-Unität und wählten 1467 eigene Gemeindeleiter (Priester).
Wir sind solche, die sich ein für allemal entschlossen haben, sich nur durch das Evangelium und das Vorbild des Herrn Christus und der heiligen Apostel in Sanftmut, Demut, Geduld und Feindesliebe leiten zu lassen.
Bruder Gregor, 1461 aus dem Gefängnis
Leben mit der Bergpredigt
Für die Brüder hatte das Neue Testament eine hohe Bedeutung, und darin besonders die Bergpredigt Jesu mit ihren Forderungen nach einem gewaltfreien Leben im Glauben an Gott (Matthäus 5-7). Während der ganzen Zeit ihres Bestehens legten sie einen großen Wert auf ihre Gemeindeordnungen.
Ende des 15. Jahrhunderts diskutierten die Brüder die Frage, ob der Rückzug auf das Land die einzige Möglichkeit für einen Glauben ohne falsche Kompromisse ist. Nach heftigem Ringen öffneten sie sich auch für Handwerker und Stadtbewohner. Der Theologe Lukas von Prag formulierte 1492: »Gutes Tun und Böses vermeiden, das dient an sich dem Seligwerden keineswegs.« Sondern man erlangt das Heil einzig aufgrund des Leidens und Sterbens von Jesus Christus. Damit nahm er Gedanken vorweg, die Martin Luther 25 Jahre später noch prägnanter aussprechen sollte.